Die Große Brennnessel (Urtica dioica L.) ist von einer Expertenjury des Naturheilvereins Theophrastus zur Heilpflanze des Jahres 2022 gekürt worden.
Die zu den Brennnesselgewächsen (Urticaceae) gehörende Pflanze kommt in allen gemäßigten Zonen Europas, Asiens und Amerikas vor und ist ein im Garten eher unbeliebtes Kraut. Sie vermehrt sich schnell und ausdauernd und ist wegen ihres weitverzweigten Rhizoms nur schwer wieder loszuwerden. Bei Berührung kommt es zu Juckreiz, Schmerzen und Ausschlag, der durch ihre Brennhaare verursacht wird, die auf den Blättern und Stängeln sitzen und Ameisensäure, Acetylcholin und Histamin abgeben. Diese Symptome verleihen einer allergischen Reaktion sogar den Namen („Urtikaria = die Nesselsucht“) und spiegeln sich auch in der lateinischen (Urtica von lat. urere = brennen) und deutschen Bezeichnung der Pflanze wider.
Besonders interessant ist die Brennnessel wegen ihrer vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten. Dabei wird sie nicht nur als Arzneipflanze, sondern auch in Form von spinatähnlichem Wildgemüse, Smoothies oder Suppe verwendet. Äußerlich wird sie bei seborrhoischen Hauterkrankungen eingesetzt. Zur Pflege von Kopfhaut und Haaren findet sich Brennnesselextrakt in zahlreichen Shampoos und Haarwässern, vor allem um einer Schuppenbildung entgegenzuwirken.
Arzneilich verwendet werden die getrockneten Blätter (Brennnesselblätter – Urticae folium) bzw. das getrocknete Kraut (Brennnesselkraut – Urticae herba) bestehend aus Stängeln und Blättern sowie die Wurzeln (Brennnesselwurzel – Urticae radix). Die entsprechenden pflanzlichen Zubereitungen werden vom Herbal Medicinal Plants Committe (HMPC) der EMA auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Daten als Traditionelle Pflanzliche Arzneimittel (THMP) eingeordnet. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Arzneipflanzenlexikon.
Blatt- und Krautdroge der Brennnessel sind unter anderem zur unterstützenden symptomatischen Behandlung von schmerzhaften Athritiden und rheumatischen Beschwerden geeignet. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Durchspülungstherapie bei unkomplizierten entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege und zur Vorbeugung von Nierengrieß . Für diese Anwendungen stehen Drogenpulver, Tinkturen, Flüssig- und Trockenextrakte sowie Teedrogen zur Verfügung. Weitere Informationen der Blatt- und Krautdroge können Sie der entsprechenden HMPC-Monographie entnehmen.
Für die Wirksamkeit von Urticae folium/herba wird ein breites Spektrum an Inhaltsstoffen verantwortlich gemacht. Als maßgeblich für die antiphlogistische Wirkung gelten insbesondere Polyphenole, darunter die seltene Caffeoyläpfelsäure, Chlorogensäure sowie Flavonoide wie zum Beispiel Quercetin. Den Polyphenolen werden auch antioxidative Effekte zugeschrieben. Der relativ hohe Gehalt an Mineralsalzen und Kieselsäure wird insbesondere für die aquaretische Wirkung der Droge verantwortlich gemacht.
Es liegen diverse offene klinische Studien, Beobachtungsstudien und Fallstudien für diese Drogen in den empfohlenen Indikationen vor, die die Plausibilität der traditionellen Indikationen belegen.
Eine weitere wichtige therapeutische Rolle spielt auch die Wurzeldroge der Brennnessel. Sie ist bei Miktionsbeschwerden in den Anfangsstadien des benignen Prostatasyndrom indiziert. Prostatabedingte Beschwerden beim Wasserlassen können sich dadurch bessern. Die Anwendung sollte nur erfolgen, nachdem maligne Prostataerkrankungen durch einen Arzt ausgeschlossen wurden.
Die symptomlindernde Wirkung der Wurzeldroge beruht vor allem auf einer entstauenden Wirkung auf die Prostata. Als wichtige Wirkmechanismen gelten hemmende Einflüsse auf Dihydrotestosteron in seiner wachstumsfördernden Wirkung auf die Prostata. Dazu gehören die verminderte Bindung von Dihydrotestosteron an sein Transportprotein SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin) und an die Prostata sowie eine reduzierte Hormonsynthese durch Hemmung des Enzyms 5α-Reduktase. Weitere Informationen der Wurzeldroge können Sie der entsprechenden HMPC-Monographie entnehmen.
Es liegen 6 kontrollierte klinische Studien zur Anwendung von Brenneselwurzelzubereitungen in der empfohlenen Indikation vor, deren Aussagekraft und Qualität laut der Einschätzung des HMPC jedoch nicht für den Wellestablished-use-Status ausreichen. Dies ist u.a. durch die Variabilität der Symptomatik der Erkrankung im Zeitverlauf, eine hohe interindividuelle Variabilität, einen substanziellen Placeboeffekt sowie eine hohe Dropoutrate in den klinischen Studien begründet.