S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“

Im September 2021 ist die erste S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin (KAM) in der Onkologie auf den Portalen der AWMF und des Leitlinienprogramms Onkologie erschienen (AWMF-Registernummer: 032/055OL). Die Beitragenden waren alle relevanten Fachgesellschaft in der Onkologie (u.a. DKG, DKH, DGGG, DGAV, DGHO, DEGRO, PRIO, GPT).

Ziel dieser Leitlinie ist es, den therapierenden und beratenden Berufsgruppen wie Ärzten, Apothekern oder Pflegekräften einen Leitfaden an die Hand zu geben, der es ihnen ermöglicht, medizinische und therapeutische Fragen evidenzbasiert zu beantworten sowie Empfehlungen auszusprechen und/oder von einer KAM-Therapie abzuraten.

Die Arbeitsgruppe zieht nach dieser wirklich bemerkenswerten, intensiven Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema das Resümee, dass für die meisten komplementären und alternativen Therapieformen nur wenig wissenschaftliche Daten existieren. Insbesondere gibt es zu wenig klinische Forschung gemäß den üblichen Standards. Es fehlen randomisierte, kontrollierte klinische Studien (randomized controlled trials, RCTs), die eine klinische Wirksamkeit belegen könnten. Auch wenn es durchaus gute Ergebnisse hinsichtlich der positiven Beeinflussung der Nebenwirkungen einer onkologischen Standardtherapie durch KAM-Therapien gibt und auch die Lebensqualität positiv beeinflusst werden kann, fehlen doch grundlegende Daten zu Nebenwirkungen und Interaktionen, die mit KAM-Therapien einhergehen.

In Kapitel 7.6 wird auf die 16 häufigsten Phytotherapeutika als KAM ausführlich eingegangen, u.a. auf Zubereitungen aus Aloe, Baldrian, Cimicifuga, Ginkgo, Ginseng, Ingwer, Mistel, Johanniskraut und Mariendistel. Dabei wird für jede Pflanze zwischen den verschiedenen Darreichungsformen und Extrakten sowie den jeweils verfügbaren Evidenzen für die Wirksamkeit differenziert. Abschließend wird ein Resümee gezogen, ob Empfehlungen ausgesprochen werden können.

Vergleichsweise solide wirkt die Situation bei Mistelpräparaten für die subkutane Anwendung zur Verbesserung der Lebensqualität. Die klinischen Daten sind zwar heterogen und mit einer Vielzahl verschiedener Extrakte erhoben worden. Trotzdem kann der therapeutische Einsatz bei Patienten mit soliden Tumoren erwogen werden, um eine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen (Level of Evidence, LoE: 1a). Anders sieht es hingegen aus bei der Wirksamkeit zur Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit von onkologischen Patienten. Die Heterogenität der Entitäten, der Therapieformen und der Extrakte sowie insbesondere die Qualität der klinischen Studien „erschwert die Bewertung der Wirksamkeit der Misteltherapie“.

Für pflanzliche Zubereitungen aus Cimicifuga, die „zur Senkung von menopausalen Symptomen wie Hitzewallungen bei Brustkrebspatientinnen erwogen werden“ können (LoE: 2b) oder aus Gingko, die  „zur Verbesserung von Fatigue bei onkologischen Patienten erwogen werden“ können (LoE=2b“) liegen schwächere Empfehlungen vor. Auch Ingwer „kann zusätzlich zur leitliniengerechten Antiemese in der Therapie von zytostatikainduzierter Übelkeit/Erbrechen“ in Betracht gezogen werden (LoE: 2b).
Obwohl für Johanniskrautpräparate keine Studien vorliegen, die die Wirksamkeit auf die Depressivität von onkologischen Patienten untersuchten, kann entsprechend der Leitlinie für onkologische Patienten folgende Empfehlung gegeben werden: „Johanniskrautpräparate sind konventionellen Medikamenten in der Behandlung der leichten bis mittelschweren Depression nicht unterlegen. Patienten, die auf Wunsch Johanniskraut einnehmen, sollen über die unterschiedliche Wirkstärke der verfügbaren Zubereitungen und die sich daraus ergebenden Unsicherheiten von Johanniskraut mit hohem Gehalt an Hyperforin informiert werden. Sie sollen ebenfalls aufgeklärt werden über mögliche schwere Wechselwirkungen von Johanniskraut mit hohem Gehalt an Hyperforin mit anderen Medikamenten.“